Amygdalin – B17

Stand:
Amygdalin aus Aprikosenkernen gegen Krebs? Die Wirkung ist nicht nachgewiesen. Aber die beim Verzehr entstehende Blausäure kann zu schweren akuten Vergiftungen führen.
Grafik einer geöffneten Pille mit Aufschrift B17

Das Wichtigste in Kürze:Achtung, kann Gesundheit schaden

  • Amygdalin ist ein cyanogenes Glykosid, kein Vitamin wie oft behauptet.
  • Während der Verdauung entsteht daraus giftige Blausäure.
  • Schon beim Verzehr weniger bitterer Aprikosen- oder Mandelkerne kann es zu Vergiftungserscheinungen kommen (max. 2 bittere Aprikosenkerne pro Tag für Erwachsene)
  • Amygdalin selber ist in Lebensmitteln verboten.
  • Aussagen mit Bezug auf Krankheiten (Krebs) sind für Nahrungsergänzungsmittel verboten. Nahrungsergänzungsmittel sind nicht für die Behandlung von Erkrankungen geeignet.
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Was steckt hinter der Werbung zu Amygdalin in Nahrungsergänzungsmitteln?

Gemahlene bittere Aprikosenkerne in Kapseln werden vor allem mit "reich an Vitamin B17 (Laetrile)" beworben und immer wieder zur alternativen Krebsbehandlung angepriesen. Der eigentlich gemeinte Inhaltsstoff ist das Amygdalin, so die richtige Bezeichnung. Amygdalin wird auch als Vitamin-B17-Tabletten verkauft. Der Stoff spielt in der menschlichen Ernährung keine Rolle, ist auch kein Vitamin, wie der Name suggeriert. Bei einigen Vertreter:innen dieser alternativen Krebstherapie gilt ein B17-Mangel in der Nahrung als Krebsursache.

Auf diversen Internetseiten finden sich Aussagen, wonach Amygdalin regelmäßig genommen vor Krebs schützt, ein Tumor schrumpfen, Krebszellen aus dem Körper verschwinden und Metastasen gar nicht erst entstehen können sollen. Häufig wird dabei mit den Ängsten vor Nebenwirkungen bei Chemotherapien gespielt: "Es kommt zu keinen Nebenwirkungen wie Haarausfall, Darmstörungen usw. Diese Nebenwirkungen sind bei der schulmedizinischen Chemotherapie Folge der Schädigung gesunder Zellen." Amygdalin gilt auf solchen alternativen Krebstherapie-Seiten oft als „natürliche Chemotherapie".

Weder für die Mangel-Hypothese noch für Wirkaussagen gibt es jedoch wissenschaftliche Beweise (3, 19). In einer Humanstudie wird davon berichtet, dass die Nebenwirkungen der Chemotherapie bei oraler Gabe von Amygdalin (Laetrile) geringer seien (was auf eine weniger effektive Chemotherapie hindeutet), nicht dagegen bei Gabe von bitteren Aprikosenkernen. Klinische Studien, die per Amygdalin-Injektion durchgeführt wurden, also nicht mit einem Nahrungsergänzungsmittel bzw. bitteren Aprikosenkernen, zeigten bei an Krebs erkrankten Menschen keinen Vorteil durch die Einnahme von Amygdalin, es kam aber in einigen Fällen zu Symptomen einer Blausäure-Vergiftung. Ein Review von 36 Studien kam 2006 zu dem Ergebnis, dass in keiner einzigen Studie ein Hinweis für eine mögliche Wirkung gegen Krebs beim Menschen nachweisbar war. Ein Cochrane-Review zieht ebenfalls eine negative Nutzen-Schaden-Bilanz, insbesondere bei oraler Aufnahme. In den USA ist Laetril auch nicht als Arzneimittel zur Behandlung von Krebserkrankungen zugelassen.

Darüber hinaus sind krankheitsbezogene Aussagen für Lebensmittel grundsätzlich verboten. Heilung und Linderung von Erkrankungen ist Aufgabe von Arzneimitteln.

Achtung! Aus Amygdalin entsteht im Körper Blausäure. Kleine Mengen Blausäure kann der Körper entgiften, größere Mengen führen zu einer Vergiftung bis hin zum Tod.
Die S3-Leitlinie "Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen" rät aufgrund der potentiell lebensbedrohlichen Nebenwirkung von der Verwendung ab.

Worauf soll ich beim Kauf achten?

  • Im Lebensmittelhandel dürfen bittere Aprikosenkerne (mit max. 20 mg Blausäure pro kg roher Kerne) z.B. als Knabberartikel und auch Kapseln mit gemahlenen Kernen verkauft werden. Größere Packungen sollten einen Warnhinweis tragen: Bittere Aprikosenkerne enthalten Blausäure und können bei übermäßigem Verzehr zu Vergiftungserscheinungen führen. Außerhalb der Reichweite von Kindern aufbewahren.
  • Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät Erwachsenen, nicht mehr als zwei Kerne täglich zu essen, für Kinder sind sie ungeeignet.
  • Halten Sie sich unbedingt an die Dosierangaben, nehmen Sie mehr, ist der Hersteller nicht mehr verantwortlich.
  • Wenn Sie an Schilddrüsenkrebs leiden: Bei Verzehr von cyanogenen Pflanzen, insbesondere von bitteren Aprikosenkernen oder reinem Amygdalin, kommt es durch die gesteigerte Thiocyanat-Bildung zur Blockade des zur Behandlung verwendeten radioaktiven Jods, die Behandlung wirkt nicht.
  • Der Stoff Amygdalin darf in der EU nicht verkauft werden, auch nicht in der Apotheke (Verbot bedenklicher Arzneimittel) und kann auch ohne konkreten Schadensfall strafrechtlich verfolgt werden.
  • Wer Amygdalin privat im Ausland bestellt, läuft Gefahr, dass dieses bei der Einfuhr vom Zoll beschlagnahmt wird. Die Weitergabe an andere (auch innerhalb der eigenen Familie) gilt als illegales Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels.
  • Im Handel erhältliche Aprikosenkern-Ferment-Kapseln bestehen aus fein gemahlenen, entölten und fermentierten Bitteraprikosenkernen. Diese enthalten wahrscheinlich kein Amygdalin mehr, sie werden auch nur als Enzymquelle beworben.
  • Die als Hautpflege- oder Massageöle angebotenen Aprikosenkernöle (aus Wildaprikosen) enthalten dagegen Amygdalin. Sie dürfen nicht verzehrt werden, was durch Warnhinweise "enthält Amygdalin, nicht zum Verzehr geeignet" kenntlich gemacht wird.
     
Von Anhängern des Pseudovitamins B17 werden neben bitteren Aprikosenkernen oft auch andere Lebensmittel genannt, die aber entweder nur unwesentliche Mengen enthalten (Brombeeren, Erdbeeren, Erbsen) oder bei denen durch traditionelle Zubereitungsweise (z.B. Kochen mit offenem Deckel) die Blausäure weitestgehend entfernt wird (Gartenbohne, Holunder, Maniok/Tapioka, Yamy, Limabohne). Diese Lebensmittel können Sie ohne Gefahr essen. Für frischen, geschälten Maniok (Kassawawurzel) gilt ein Höchstwert von 50 mg Blausäure pro Kilogramm.

Was ist Amygdalin?

Amygdalin, auch Amigdalina, Laetrile (Lätril), Mandelonitril oder Vitamin B17 genannt, ist ein toxischer sekundärer Pflanzeninhaltsstoff, der in den Samen von Steinfrüchten (dem weichen Kern des holzigen Kerns) vorkommt. Dazu zählen beispielsweise Aprikosen, Bittermandeln, aber auch Pfirsiche, Pflaumen oder Zwetschgen.
Es handelt sich trotz des irreführenden Namens nicht um ein Vitamin. Wenn überhaupt ist es ein Pseudovitamin (= nicht als lebenswichtiger, von außen zuzuführender Nährstoff anerkannt).
Amygdalin ist ein cyanogenes (Blausäure abspaltendes) Glykosid, welches in Gegenwart von Wasser in das typische Bittermandelaroma (Benzaldehyd), Glukose und Mandelsäurenitrilglukosid gespalten wird. Letzteres zerfällt durch den Einfluss weiterer Enzyme in Cyanid, also Blausäure. Geringe Mengen Amygdalin kann der menschliche Körper abbauen.

Wenn Sie es genau wissen wollen:
Die Theorie der Amygdalin-Befürworter geht davon aus, dass das für den Abbau von Amygdalin benötigte Enzym (ß-)Glucuronidase gehäuft in Tumorzellen vorkommt. Die dort vermehrt freigesetzte Blausäure soll daher nur die Krebszellen absterben lassen. Die Entgiftung des Cyanids findet durch ein weiteres Enzym Rhodanase statt, dabei wird Cyanid in das ungefährlichere Thiocyanat umgewandelt. Nun wird spekuliert, dass dieses Enzym in Tumorzellen nicht vorliegt und die Blausäure dort nicht entgiftet werden kann. Für beides gibt es jedoch keine Belege.

Wie gefährlich ist Amygdalin?

Bittere Aprikosenkerne weisen einen hohen Gehalt an Amygdalin auf. Aus Amygdalin wird während des Kauens und bei der Verdauung Blausäure (Cyanid) freigesetzt. Kleine Mengen Blausäure kann der Körper entgiften, bei größeren Mengen kommt es zu schweren Vergiftungen bis hin zu Tod. Symptome der akuten Vergiftung sind z. B. Krämpfe, Erbrechen und Atemnot bis zur – tödlichen – Atemlähmung. Untersuchungen des niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) haben Blausäuregehalte zwischen 1.949 mg/kg und 2.934 mg/kg Aprikosenkerne festgestellt.
Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind in Deutschland keine Amygdalin-haltigen Fertig-Medikamente zugelassen. Ganz im Gegenteil sind Amygdalin-Produkte (inkl. Bittermandelwasser DAB 6) als für Menschen bedenkliche Rezepturarzneimittel eingestuft, so die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker.

Gefahr durch Blausäure

Die tödliche (letale) Dosis beim Menschen liegt bei ca. 50 mg Blausäure. Das entspricht etwa 0,5-3,5 mg/kg Körpergewicht. Die akute Referenzdosis (ARfD) liegt laut der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA bei 20 µg Cyanid pro Kilogramm Körpergewicht, unterhalb dieser Menge kommt es nicht zu akuten schädlichen Wirkungen. Als unbedenklich gelten Mengen bis zu 5 µg/kg Körpergewicht, wie sie durch gewöhnliche Lebensmittel niemals überschritten werden.
Je nach Schwere der Vergiftung reichen die Beschwerden von Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen über Atemnot bis hin zum Tod. Die gleichzeitige Einnahme von Vitamin C, aber auch ein Vitamin-B12-Mangel können das Risiko für eine Vergiftung erhöhen.
Ein einziger Aprikosenkern enthält bereits 0,5 mg Blausäure, so das BfR. Bei Kleinkindern besteht schon beim Verzehr von nur einem kleinen Aprikosenkern das Risiko einer Grenzwertüberschreitung.
Laut BfR sind aus der Literatur zahlreiche Fälle bekannt, bei denen nach dem Verzehr größerer Mengen an bitteren Aprikosenkernen schwere Vergiftungen auftraten, darunter auch Todesfälle von Kindern. Im Dezember 2014 berichtete das Deutsche Ärzteblatt von einem vierjährigen Kind, welches nach der Einnahme eines oralen Amygdalin-Präparates eine Zyanid-Vergiftung erlitt. 2017 wurde von durch Amygdalin verursachten Komplikationen bei einer OP berichtet.

Seit August 2022 gibt es auch Höchstgehalte für Blausäure in Lebensmitteln wie Leinsamen, Mandeln und Maniok. Mandeln dürfen höchstens 35 mg/kg Blausäure enthalten (bis zu 3.000 mg/kg wurden bereits gefunden). Ausnahme: Wenn der Warnhinweis "Nur zum Kochen und Backen verwenden. Nicht roh verzehren!" im Hauptsichtfeld (Frontetikett) vorhanden ist, dürfen sie mehr enthalten.

Die Höchstmenge bei bitteren Aprikosenkernen beträgt 20 mg/kg (und ist auf Anforderung der Behörde auch nachzuweisen), für Leinsamen für Endverbraucher 150 mg/kg (mehr mit obigem Warnhinweis), für Maniok- und Tapioka-Mehl 10 mg/kg.

 

Quellen:


Bundesinstitut für Risikobewertung: Zwei bittere Aprikosenkerne pro Tag sind für Erwachsene das Limit - Kinder sollten darauf verzichten. Aktualisierte Stellungnahme Nr. 009/2015 des BfR vom 7. April 2015 (abgerufen am 14.11.2023)

Milazzo, S. et al. (2007): Laetrile for cancer: a systematic review of the clinical evidence. Supportive Care in Cancer. 15(6), S. 583–595. doi:10.1007/s00520-006-0168-9

Jaszczak-Wilke E et al. (2921): Amygdalin: Toxicity, anticancer activity and analytical procedures for its determination in plant seeds. Molecules 26(8): 2253.

Bertsche T; Schulz M: Amygdalin – ein neues altes Krebsmittel? Pharmazeutische Zeitung Ausgabe 24/2003

National Cancer Institute: Laetrile/Amygdalin – Patient Information. Stand: 02.06.2022 (abgerufen am 14.11.2023)

National Cancer Institute: Laetrile/Amygdalin - Health Professional Version. Stand: 14.06.2022 (abgerufen am 14.11.2023)

Information der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK): Bedenkliche Rezepturarzneimittel, Stand: Mai 2018 (abgerufen am 14.11.2023)

Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES): Vorsicht beim Verzehr von bitteren Mandeln und bitteren Aprikosenkernen – Gefahr durch Blausäure. (abgerufen am 14.11.2023)

EFSA (2016): Acute health risks related to the presence of cyanogenicglycosides in raw apricot kernels and products derived from raw apricot kernels. EFSA Journal 14 (4): e04424

Blausäure-Vergiftung durch „Vitamin B17“. Deutsches Ärzteblatt online vom 12.12.2014 (abgerufen am 14.11.2023)

Aprikosenkerne: Extrakt löste Zyanidvergiftung aus. Deutsches Ärzteblatt online vom 14.09.2017 (abgerufen am 14.11.2023)

Lilienthal N (BfArM) (2014): Amygdalin – fehlende Wirksamkeit und schädliche Nebenwirkungen. Bulletin zur Arzneimittelsicherheit (3): 7-13, 2014

Milazzo S. und Horneber M: Laetrile Treatment for Cancer. Stand: 28.04.2015. Cochrane Database of Systematic Reviews (abgerufen am 14.11.2023)

Cochrane-Gesellschaft: Aprikosenkerne - kein Mittel gegen Krebs. Ernährungs Umschau online, Stand: 13.03.2019

S3-Leitlinie Komplementärmedizin in der Behandlung von onkologischen PatientInnen. Langversion 1.0 – Juli 2021 (abgerufen am 14.11.2023)

Verordnung (EU) 2023/915 der Kommission vom 25. April 2023 über Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1881/2006, Fassung vom 10.08.2023

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