Verbotener Weichmacher im Urin von Kita-Kindern: Ursache Sonnencreme?

Stand:
Im Urin von Kindergartenkindern aus NRW wurde ein seit Jahren verbotener Weichmacher nachgewiesen. Die Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt. Mögliche Verursacher könnten unter anderem Sonnencremes sein. Der Weichmacher kann die Fruchtbarkeit schädigen.
Ein Laborant träufelt eine Flüssigkeit in ein kleines Gefäß

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW hat Urinproben bei Kindergartenkindern aus den Jahren 2017/2018 mit Proben von 2020/2021 verglichen. Innerhalb von 3 Jahren stieg der Anteil der belasteten Proben von 26 auf 61 Prozent.
  • Möglicherweise tragen Kosmetikprodukte wie Sonnencreme, Anti-Aging-Produkte, Parfüms und Tagescremes zu der Belastung von Kindern und Erwachsenen mit dem verbotenen Weichmacher bei. Der in solchen Produkten verwendete UV-Filter DHHB kann mit dem Weichmacher verunreinigt sein.
  • Deutlich höhere Werte wurden bei Kindern gemessen, die am Tag der Probenahme oder an den beiden Tagen davor Sonnenschutzmittel verwendeten.
  • Außerdem könnten auch Spielzeuge aus PVC, Kinderkleidung aus Asien oder Hausstaub zu einer Belastung beitragen.
  • Laut Umweltbundesamt und Bundesinstitut für Risikobewertung stellen die gemessenen Werte kein Gesundheitsrisiko dar.
On

Weichmacher bei Kindern und Erwachsenen nachgewiesen

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) hat Urinproben von 250 Kindergartenkindern aus den Jahren 2017/2018 mit Proben von 2020/2021 verglichen. Ergebnis: In den Urinproben wurde MnHexP (Monohexylphthalat) nachgewiesen. In dem Zeitraum stieg der Anteil der Proben, die mit dem verbotenen Weichmacher MnHexP belastet waren, von 26 auf 61 Prozent.

Dabei haben sich die  Messwerte bei den höchstbelasteten Kindern in etwa verzehnfacht: 2017/18 wurde eine MnHexP-Konzentration von 0,8 Mikrogramm pro Liter gemessen. 2020/21 waren es 8,7 Mikrogramm pro Liter. Bei der Auswertung zeigte sich eine Belastung in ganz Nordrhein-Westfalen. Lokale Ursachen können somit ausgeschlossen werden.

MnHexP kann, wie viele andere Weichmacher auch, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, zu Fehlbildungen der Geschlechtsorgane führen oder sogar unfruchtbar machen. Außerdem kann er das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen. Weitere Informationen zu den Weichmacher-Funden in Urinproben finden Sie auf der Fragen & Antworten-Seite des Umweltbundesamtes.

Auch bei Erwachsenen konnte dieses Abbauprodukt einiger Weichmacher in vielen Proben nachgewiesen werden. Demnach war MnHexP laut German Environmental Survey (GerES ) VI in mehr als einem Drittel von bislang rund 500 untersuchten Urinproben nachweisbar. Die Probenahme und Befragung der Teilnehmenden werden noch bis in den Spätsommer 2024 fortgesetzt. Endergebnisse der Studie werden im nächsten Jahr erwartet. Bisher fand der verbotene Weichmacher in Studien kaum Beachtung.

Was könnten mögliche Quellen für die Phthalat-Belastung sein?

Sonnencreme

MnHexP kann im Körper unter anderem aus dem Weichmacher DnHexP (Dihexylphthalat) entstehen. In Kosmetik ist der Einsatz dieses Weichmachers verboten. Dieser kann auch als Nebenprodukt bei der Herstellung des UV-Filters DHHB (Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate) entstehen. Daher untersuchte das  Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe 57 Sonnenschutzprodukte aus den Jahren 2020 bis 2023 auf ihren DnHexP-Gehalt. Der verbotene Weichmacher wurde in 21 von 40 Sonnencremes, die DHHB als UV-Filter enthielten, nachgewiesen. In den 17 Sonnencremes ohne DHHB war der Weichmacher nicht nachweisbar.

Die Zahl der Sonnenschutzmittel mit diesem UV-Filter stieg in den letzten Jahren stark an, weil einige Hersteller den in Verruf geratenen UV-Filter Oxybenzon durch DHHB ersetzten. DHHB kann in Sonnenschutzmitteln, auch in solchen für Babys und Kinder, in Gesichtscremes, Anti-Aging-Kosmetik und Parfüms enthalten sein.

Sowohl das Umweltbundesamt als auch das LANUV finden einen möglichen Zusammenhang zwischen der gemessenen Belastung und der Verwendung von Sonnenschutzmitteln.

Laut LANUV lag die Belastung von Kindern, die kurz vor der Urinprobe Sonnenschutzprodukte verwendet hatten, 4,6 mal höher als von Kindern, bei denen in dem Zeitraum keine Sonnenschutzmittel aufgetragen wurden. Allerdings waren auch Kinder nachweisbar, wenn auch geringer belastet, die am Tag der Probenahme oder den beiden Tagen davor keine Sonnenschutzmittel benutzt hatten.

Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen

Laut der Datenbank des Food Packaging Forums wurde DnHxP vor allem außerhalb der EU manchmal in Materialien mit Lebensmittelkontakt nachgewiesen, wie zum Beispiel in Verpackungsartikeln aus Polymilchsäure (PLA), in Klebeetiketten für Obst und Gemüse, in PET-Flaschen und Lebensmittelbehältern aus Polypropylen, Polystyrol und Papier.

Hausstaub, Spielzeug aus PVC, Kinderkleidung aus Asien

Das Bundesinstitut für Risikobewertung ermittelt weitere mögliche Quellen wie

  • Hausstaub
  • Spielzeug aus PVC
  • Kinderkleidung aus asiatischen Ländern für Vorschulkinder

Was kann ich als Verbraucher:in tun, um mich vor einer möglichen Belastung durch Weichmacher zu schützen?

Mit diesen Maßnahmen können Sie eine Belastung mit MnHexP oder anderen Phthalat-Weichmachern reduzieren:

  • Eines vorweg: Sie sollten sich auf jeden Fall vor intensiver Sonnenstrahlung  schützen. Das erreichen sie am besten nicht durch Sonnencreme, sondern durch Kleidung. Nur unbedeckte Hautflächen sollten Sie dann noch mit Sonnencreme schützen. Weitere Informationen zu Sonnenschutzmitteln und Sonnenschutzbekleidung finden Sie in den verlinkten Beiträgen.
  • Sonnencreme aus dem Vorjahr: Das Chemische Untersuchungsamt Karlsruhe untersuchte 57 Sonnenschutzprodukte aus den Jahren 2020 bis 2023 und wies in 21 Proben den verbotenen Weichmacher nach. Da die betroffenen Sonnencremes im Untersuchungsbericht nicht genannt wurden, können Verbraucher:innen nicht erkennen, welche Produkte aus dem Vorjahr mit DnHexP belastet sind. Auf Nummer sicher gehen Sie, wenn Sie Sonnencreme mit DHHB, erkennbar an "Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate" in der Inhaltsstoffliste, nicht mehr verwenden.
  • Wenn Sie auf Sonnenschutzmittel mit DHHB verzichten möchten, achten Sie darauf, dass "Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate" in der Inhaltsstoffliste nicht genannt wird. Unter "Ingredients" müssen alle Inhaltsstoffe auf der Packung aufgelistet werden. In den Test-Tabellen der Stiftung Warentest erkennen Sie DHHB-haltige Sonnencremes an einem "j" in der Zeile "Sonnenschutzfilter".
  • In  zertifizierter Naturkosmetik sind organisch-chemische UV-Filter wie DHHB verboten. Welche davon einen guten UV-Schutz bieten, zeigen die Untersuchungen der Stiftung Warentest.
  • Vermeiden Sie den Kunststoff Weich-PVC. Besonders Billig-Produkte aus Asien enthalten häufiger in der EU verbotene Weichmacher. Auf Online-Plattformen werden solche Produkte oft direkt von Händlern aus China angeboten.
  • Weiches PVC wird zum Beispiel in Spielzeug sowie in Vinyltapeten und in elastischen Bodenbelägen verwendet.
  • Lassen Sie Kinder nicht mit älterem Spielzeug aus weichem PVC spielen, da es noch bestimmte Phthalat-Weichmacher enthalten kann, die seit 2007 verboten wurden.
  • Kaufen Sie möglichst wenig verarbeitete, sondern stattdessen unverarbeitete Lebensmittel und bereiten Sie diese selbst zu. Eine US-amerikanische Studie  an 1.031 Schwangeren zeigte, dass ein hoher Verzehr von stark verarbeiteten Lebensmitteln und Fast-Food zu höheren Phthalat-Werten im Urin führte, wohin gegen ein hoher Verzehr gering verarbeiteter Lebensmittel zu niedrigeren Weichmacher-Werten führte. Die Weichwacher können bei der Verarbeitung oder durch die Verpackungen in die Lebensmittel gelangt sein.

Aktuelle Untersuchungen: Welche Produkte sind mit Weichmachern belastet, welche nicht?

Öko-Test untersuchte 2024 Sonnencremes für Kinder auf verbotene Weichmacher und speziell auf DnHexP.  In vier von elf Sonnencremes mit dem UV-Filter DHHB war die verbotene Substanz zum Teil nur in Spuren nachweisbar. 

Die Stiftung Warentest ließ 2024 Sonnenschutzmittel für Erwachsene prüfen und wies in vier Produkten DnHexP nach.

Was sagen die gemessenen Werte von MnHexP über mögliche Gesundheitsrisiken aus?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat eine erste Einschätzung zu den im Urin gemessenen Werten veröffentlicht. Demnach geben die nachgewiesenen Urinwerte für mehr als 95 Prozent der Proben keinen Anlass zur Sorge.

Das BfR wertete weitere Tierversuchsstudien zu DnHexP aus und leitete daraus einen Wert für die vorläufige tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) für den Menschen ab. Daraus ergab sich, dass der vorläufige TDI bei den betroffenen Kindern und Erwachsenen nur zu einem sehr geringen Teil ausgeschöpft wird. Dennoch wird MnHexP als Substanz eingestuft, die nicht im Körper auftreten sollte.

Der Human-Biomonitoring-Wert I, kurz HBM-I, ist ein Vorsorgewert, bei dessen Unterschreitung nach aktuellem Kenntnisstand keine Gesundheitsschäden auftreten. Für MnHexP wurde ein HBM-I-Wert von 60 Mikrogramm pro Liter abgeleitet. Dieser Wert wurde bei keinem der in NRW untersuchten Kindergartenkinder überschritten.

Es handelt sich bei der Bewertung des BfR und bei dem HBM-I-Wert also lediglich um Einzelstoffbetrachtungen. Die derzeit vorliegende Gesamtbelastung der Bevölkerung mit unterschiedlichen Phthalat-Weichmachern und anderen hormonsystemschädigenden Stoffen wurde weder bei der Bewertung durch das BfR noch bei der Einordnung anhand des neu abgeleiteten Vorsorgewertes berücksichtigt.

Studien an großen Bevölkerungssgruppen und Tierversuchsstudien zeigen aber, dass es nicht ausreicht, nur einen einzigen Weichmacher zu betrachten, sondern dass sich die schädlichen Effekte einiger Phthalate summieren können. So zeigte eine Studie von 2022, dass durch 5 weitere Weichmacher für 17 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen bereits das Risiko einer Gesundheitsschädigung bestehe.

Dieser Inhalt wurde von der Gemeinschaftsredaktion in Zusammenarbeit mit den Verbraucherzentralen Nordrhein-Westfalen und Hessen für das Netzwerk der Verbraucherzentralen in Deutschland erstellt.

Eine Frau blickt auf eine digitale Anzeige.

Ihre Daten bei Facebook und Instagram für KI: So widersprechen Sie

Meta hatte kürzlich angekündigt, "KI bei Meta" zu entwickeln. Als Trainingsmaterial für diese KI-Tools sollen auch Nutzerinhalte dienen, also das, was Sie auf den Plattformen posten. Möchten Sie das nicht, können Sie widersprechen. Die Verbraucherzentrale NRW hat Meta deshalb abgemahnt.
Eine Frau steht vor einem geöffneten Paket mit Produkten und verweigert die Sendung

Vorsicht bei untergeschobenen Verträgen von Pflegehilfsmittelboxen

Verbraucher:innen berichten, dass ihnen telefonisch Verträge für sogenannte kostenlose Pflegehilfsmittelboxen angeboten wurden. Die Kosten übernimmt die Pflegekasse aber nur, wenn sie einen anerkannten Pflegegrad haben. Lehnt die Pflegekasse ab, können Verbraucher:innen auf den Kosten sitzenbleiben.

Lunch & Learn

In ihrem digitalen Vortragsformat „Lunch & Learn“ vermittelt die Verbraucherzentrale Bayern die wichtigsten Infos in der Mittagspause.